08.04.2013

Übervoll stehe ich mir Weg.

Ich möchte eine Beobachtung beschreiben, was immer auch subjektiv wahrgenommen ist:

Ich begegne zu den unterschiedlichsten Anlässen Menschen, die von einer Hochbegabung geprägt sind. Es gibt freundschaftliche Begegnungen, Gespräche mit Fachpersonen, Gespräche mit Klientel (diese zählen eher nicht, weil die ja vom Setting her den Raum bekommen).

Ich schreibe und beschreibe den Beitrag NICHT mit Blick auf Coachinggespräche, sondern hinsichtlich ganz normaler Begegnungen und dem verpassten Selbstmanagement, weil der Vulkan tanzt (sag ich mal). Es spielt dabei keine Rolle, ob wir uns face-to-face, am Telefon oder per Skype austauschen.


Und dann läuft folgendes ab (meine Beobachtung):

Die andere Person erscheint mir ÜBERVOLL, wie ein Glas überschäumende Cola, wo alles schaumt und quillt und klebrig am Rand des Glases runterläuft. Wenn es gut geht, hört es nach 30 min oder 1h auf. Im schlechteren - aber nicht selteneren - Fall, bleibt das überquillen bis am Ende des Gespräches bestehen, was auch mal 3h dauern kann.

Was beobachte ich dabei:

- grosse Augen, aufgeregtes vorne sitzen (auf Stuhl/Bank), Jacke noch nicht ausgezogen, Tasche oder Gepäck wird irgendwo hingewuselt

- ich werde eher mager begrüsst: flüchtig, ohne viel Empahtie, wie angespannt

- die Person fängt eher gleich an zu erzählen, womöglich in "Kapitel 3", ohne Anfang, ohne Einleitung, gleich mit Annahmen, Voraussetzungen, mitten drinn, für mich erst einmal kaum erfassbar

- in Lokalen können solche Personen kaum etwas bestellen. Das Servierpersonal steht da und fragt nach Getränken oder Essen und die Person kann das Personal kaum wahrhaben, weiss dann nicht, was sie bestellen will und ordert irgendwie. Eine Speisekarte bekommt kaum aufmerksamkeit bzw. kann kaum konzentriert gelesen werden. Alles geschieht hastig und zerfahren.

- Wie es mir geht, auch jetzt, wird nicht wahrgenommen, hat irgendwie keinen Platz.

- Würde ich mich nicht vehement einschalten, unterbrechen, das Gespräch strukturieren, es würde ein schier nicht erkennbares Durcheinander von Wirklichkeiten, welche einzig dem Kopf (und der übervollen Seele) der sprechenden Person entweichen.

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Und dann kommt das nicht ganz schadenlose Ende des Gesprächs:

Ich beobachte dann ein hastiges Aufbrechen und Verabschieden, irgendwie und wo und tschüss ... spüre aber in jenem Moment (meine Wahrnehmung) folgendes:

Es entsteht just in dem Moment ein von der anderen Person ausgehendes Gefühl von Traurigkeit, nun doch zu vermissen, dass wir nicht miteinander im Kontakt standen. Erst jetzt flimmert so etwas wie Aufmerksamkeit, Zuneigung, Kontakt, Empathie auf, irgendwie verzweifelt meinend: "Dass ich so viel gequasselt habe ist nicht, was ich dir sagen / zeigen / zu spüren geben wollte, sondern mein Überlaufen hätte so gerne, angenommen / verstanden / gesehen / gefühlt zu werden." Plötzlich spürt die gehende Person, dass sie es sich mit all dem Gequassel "versemmelt" hat, einen Moment des Beisammeseins entstehen zu lassen, der so viel wichtiger und ersehnter wäre, als der Wasserlass des zu viel Gesprochenen. Dabei war man gekommen, um genau dieses Verstehen abzuholen, diese mir mögliche Fähigkeit, "dich zu hören" - auch wenn du kein Wort sagen würdest.

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Ich bin über viele Jahre als Gesprächsberater ausgebildet. Ob privat oder beruflich kann ich nicht nur enorm zuhören, sondern ich kenne mich durch und durch damit aus, was im Geben und Nehmen von Hören und Sprechen abläuft. Für dien hiesigen Fall gilt kurz gesagt:

Stell dir das überquellende Cola-Glas vor. Stell es dir vor, wie es überläuft und verschüttet und klebt. Und dann frag dich, WIE soll jemand nun an das Glas kommen? WIE soll in der Situation irgendetwas bis an dich gelangen? Ob gefühlt, gehört, gezeigt?

Es ist nicht so, dass von der Gegenseite (hier: ich bzw. von mir) keine Achtsamkeit, keine Empathie, kein Verstehen da ist. Nein, das ist alles da und durch und durch angeboten. Doch meine Beobachtung ist es, dass das angestaute Überquellende die Person selber verhindert, von jenem etwas für sich herübernehmen zu können, was wegen der Überfülle so sehr ersehnt würde.

Ich empfehle daher:

1. Phase (vor der Begegnung): Kann ich meinen Gesprächfreund entgegennehmen?

2. Phase: Kann ich mich ein Stück weit leer machen (keine Gedanken, keine Ideen, keine Themen - vielmehr Zeit, Stille, Ruhe, ohne Gespräch im Moment verbleiben, allenfalls Empathie anbieten, selber zuhören)

3. Phase: Kann ich fühlen, was ich gerade fühle? Kann ich orten, ob ich ein Thema besprechen möchte, ODER OB ICH VIEL MEHR FÜR DIE IDEE DES THEMAS JEMANDEN MÖCHTE, DER MICH VERSTEHT, DER MICH ANNIMMT?

4. Phase: Könnte ich allenfalls sagen: Egal, was alles ich an Ideen und Projekten ich dir hier zeigen und mitteilen möchte, eigentlich möchte ich hierfür viel mehr verstanden, angenommen, aufgenommen werden. Mir ist mehr nach menschlichem Mitgefühl als nach Durchkauen obliegender Gedankenfeuerwerke?

RUNTER VOM GAS.

Dann klappt's nämlich auch mit dem Nachbarn.

> Versprochen.

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Kennt ihr das?

Kennt ihr das als Zuhörende?

Kennt ihr euch selber "so"?

Kann es sein, dass der Wunsch nach Annahme einem zum Ablassen aller inneren Aktualitäten knüppelt, obwohl das sich nicht eignet, von jemandem angenommen werden zu können?

Kann es sein, dass meine Landebahn so voller eigener Flugzeuge verstellt ist, dass niemand hier noch landen könnte? Bleibe ich daher ungesehen?

Stehe ich mir allenfalls genau selber im Weg?

Herzlich fragt

Jona Jakob