16.11.2016

Hochbegabung. Sich anpassen und dabei nicht wirklich erfasst / gesehen zu werden, kostet Kraft bis zur Erschöpfung

Guten Morgen

Ich habe meine eigene Begabung in diesen Tagen von einer neuen, unangenehmen Seite beobachten können.

Ich arbeitete wegen einer Ausbildung nun über ein Jahr in einer Gruppe, die mit mir sieben Personen umfasste. Das Jahr verlief erfolgreich, die Ausbildung war super, die Gruppe war bestimmt ein Glücksfall und ich konnte mich  gut halten: keine Absenzen, kein Kranksein, keine Eskalationen und eigentlich keine Ablehnung, insofern ich mich anpasste.

Am Prüfungstag selber, der drei Teile umfasste, war ich zwar sonst schon müde, aber dann brachte mich die Situation an meine Grenzen bzw. wuchs dann in den Tagen darauf im negativen Sinn darüber hinaus.

Prüfungen mögen anstrengende sein, weil
  • man schon eine Weile in einer Ausbildung steckt, so 1-2 Jahre Zusatzaufwand
  • weil man zum Schluss hin sich besonders anstrengt
  • weil man auf die Prüfung hin sehr aktiv ist und lernt
  • weil man als Hochbegabter lernen muss, nur zu beantworten, was gefragt ist (Normalo'Style)
  • weil man so gerne querdenken und gedanklich auswachsen möchte, aber nicht soll
  • weil was die Kollegen beschäftigt, einem klein und nichtig vorkommt
  • weil man schon lange den Mund hält
  • weil die Prüfung Aufzählanteile enthält und man lieber Zusammenhänge erklären würde
Der Prüfungstag geht rum: erst die schriftliche Prüfung - bestanden, abhaken. Pause.

Dann die praktische Prüfung - ich möchte noch mehr in meine Höchstform gelangen, da sind die 20 min auch schon vorbei, ich fahre meinen Präsenzenergie-'Apparat' wieder runter. Auch bestanden ...

Dann eine Präsentation. Jemandem aus der Kollegengruppe ist es zu anstrengend. Abbruch, aber bestanden. Wo mein Wesen gerade zum Flug ansetzt, ... Startabbruch. Ok, reicht ja für die anderen. Die sind noch froh, dass ich aufhöre.

Danach Dankes- und Grussworte, Geschenkübergabe. In mir bricht die Anspannung ab. Dann noch ein Glas Alkoholfreies wegen der Rückfahrt.

Die meisten Lösuungsbereiche liegen für HBs unterhalb dessen, was sie glücklich machen würde.

An der Stelle bin ich bereits entkoppelt und empfindungstaub. Was ich fühlen sollte - Freude zum Beispiel -, ist weg von mir, wie so etwas, das ins Wasser gefallen ist, und nun so weit vom Ufer treibt, dass ich es nicht mehr erreichen vermag. Mein Inneres drifte ab und weg. Wie ich nach Hause gefahren bin, weiss ich zwar, aber es war höchst fremd und anstrengend, da ich mich nicht mehr fühlte. Ich musste alles mit einer Art Notstrom-Hirnleistung beleuchten, jede Autobahnspur. Mein sonst so hochmotorisches und hochsensitives Radarwesen lief auf noch zwei letzen kleinen "Bälkchen im Edge-Modus" - keine 4G mehr.

Bitter daran: Obwohl ich dieses Jahr mit der Normalo-Gruppe gut absolvierte und doch recht erfolgreich, auch im gegenseitigen Umgang, absolvierte, konnte ich mich nach Abschluss nicht mit der Gruppe, nicht mit meiner Partnerin, nicht mit Mitarbeitern im Geschäft und schon gar nicht mit mir selber freuen. Ich versiffte am Sonntag und montags räumte ich das Zeug so schnell weg als möglich, weil es mich innerlich wegen dem, was mir daraus entstanden ist, ob ich das wollte oder nicht, anwiderte. Als ich das Abschlusszertifikat in einen Bilderrahmen legte und den Rahmen wo aufhing, spürte ich: das ist für die Anderen, die Normalowelt will einen Zettel sehen. Für mich selber ist das nicht, da für mich nicht wirklich gewürdigt noch geschöpft. Ich musste mich beschränken und irgendwie ungebührend klein halten, um super-konform zu entsprechen. Ich habe beste Feedbacks erhalten, Dankeschöns und lobende Worte.

Wenn die aber in mir nicht mich beschreiben, sondern jenes Loben, was ich beschränkt ablieferte, wie mundtot gemacht oder beschnitten. dann haben diese Belobigungen für mich mit mir nichts zu tun. Innerlich lehne ich diese 'Formalqualität' ab. Für mich ist es eine Heuchelei geworden - für die anderen ist alles in Ordnung. Aber in mir schreit der Fisch im Wasser ...

Das alles habe ich vor Beginn der Ausbildung gewusst oder zumindest bewusst geahnt. Ich habe meine Selbstverantwortung mobilisiert und mit mir selber vorher vereinbart, das auszu'HALTEN. Das habe ich getan. Es wurde wie ich es ahnte und oben beschrieb:
  • es wurde intellektuell und fachlich beschnitten, damit es für alle geht
  • es wurde durch die Gruppe genormt, so dass ich eher nicht mehr reinpasste oder mich krümmte
  • es wurden Anteile meiner Möglichkeiten nicht wirklich wahrgenommen oder gewürdigt
bis dahin war ich damit d'accord, hatte ich das bereits vorgesehen ....
  • dass mich aber diese Haltung es auszuhalten bis zur Erschöpfung belasten würde, ist mir als Aspekt neu. Das hatte ich nicht bedacht. Sich für die Harmonie in einer Gruppe klein zu machen, sich über Mass anzupassen, ist anstrengend, Kräfte raubend, die Selbstverleumdung distanziert einem von der eigenen Seele - es fördert etwas Schizophrenes. 
Heute ist Mittwoch. Es sind seit dem Prüfungsabschluss gut vier Tage vergangen. Noch immer bin ich erschöpft. Dass ich hier zu schreiben vermag, mag ein positives Zeichen sein - ein Bedürfniss ist es allemal.

Mit halbwegs aufrechten Grüssen

Jona Jakob