27.08.2013

Ihre Schönheit - Oder: Wie meine Hochsensibilität vielschichtig wahrnimmt und fühlt

Der Beitrag soll an diesem Beispiel zeigen, WIE ein Teil meiner HS in und für mich arbeitet. / JJ

Seit einiger Zeit gibt es einen kleinen aber sich fortsetzenden Dialog zwischen E. und mir. Die Frage, die fast keine Antwort findet, lautet: Welche Frau gefällt dir (denn)? Wann findest du eine Frau schön? Im ersten Moment lautet meine Antwort: Keine, oder kaum eine, das ist so selten, dass mir eine gefällt. Das klingt im ersten Moment verletzend. Das klingt vermutlich für fast alle Menschen arrogant. Und nun fängt an, was ich unterscheide.

Es mag für den Begriff der Schönheit einer Frau eine allgemeine, eher normative Vorstellung geben, was genau damit betrachtet wird. Was wird denn betrachtet, beschaut oder bewertet? Es mögen Dinge sein wie ihre Augen, ihre Haare, ihre Figur oder ihre Erscheinung, also Dinge. Dinge, von denen wir eine Vorstellung haben, ob real oder als Bilder aus Medien und von Vorbildern von Frauen, die wegen ihrer "Schönheit" erfolgreich berühmt oder auch reich sind. Es sind Bilder von greifbaren Dingen.

Und darauf reagiere ich mein Leben lang nicht. Ich sehe fast nichts in Bildern. Keinen Raum, keinen Menschen, auch nicht Frauen, kein Tier oder ein neues Auto. An mir geht Design und Form weitgehend vorbei, jedenfalls ist das Bild von der Sache nichts, was mich überzeugt. Damit reagiere ich so wenig auf "allgemein Schönes", wie auch auf "allgemein Unattraktives". Bestimmt, auch ich habe ein Ästhetikgefühl, mag eine Sache mehr und sage einer anderen Sache ab. Doch schon mit jungen Jahren wusste ich, dass mir die Schönheit eines Mädchens im Sinn dessen, was man allgemein mit dieser Aussage verband, kaum etwas zutrug oder wie früher gesagt wurde: Damit hatte ich nicht warm gegessen.

Als vor wenigen Wochen die TV-Sendung 'Catch the Millionaire' lief, und sich 20 Frauen um drei Männer bewarben, kommentierte ich irgend etwas während der Sendung und wieder fiel die Frage von E.: 'Welche gefällt dir denn?' Ich: 'Keine, da ist niemand dabei, die mich bewegt. Die sehen schon gut aus, aber das berührt mich nicht.' Wieder stand auch diese beiderseitige Ratlosigkeit im Raum, ob nun für E. aber nicht minder auch für mich, warum ich tatsächlich vor dem TV für keine der Frauen eine Regung hatte, die mich hätte äussern lassen, dass mir diese oder jene gefällt.

Um das Gegenteil zu verdeutlichen: Ich bin schon aus Trams gestiegen, habe mein Auto gestoppt und das Fenster geöffnet, bin umgedreht und hinterhergelaufen, um einer Frau zu sagen, wie schön sie sei und ich das jetzt hätte sagen müssen, da es ja sonst schade wäre, sie hätte sich so viel Mühe gegeben und niemand würde das nun sehen, ihr Kleid, den Hut, den Gang, den Ort, die ganze Erscheinung. Ich kann sehr wohl eine Frau schön finden. Was also sehe ich anders, als im ersten Moment von mir erkundet, wenn man mich fragt: 'Welche findest du schön?' und ich mit 'keine', antworte.

Mit dieser Erfahrung und mit dieser alten Frage bin ich in letzter Zeit bewusster umhergewandert. Es gab z.B. eine kleine Sache, als damals dem William seine Kate berühmt wurde und die Hochzeit angekündigt wurde, so dass sich alle um die Kate bemühten. Ich sah mir die Bilder in den Gazetten an und was war meine Äusserung?: Sie sieht toll aus (Kate), doch wer hier für mich die Frau wäre, die mir als "schön" gefallen würde, dann wäre das für mich ihre Mutter - die sieht für mich gut aus." Wochen später bemerkte Karl Lagerfeld genau dasselbe, so dass ich mich mit meiner Abweichlerei etwas bestätigt fühlte.

Eine andere Sache, die andere getrost von mir aussagen würden, ist diese: seit meiner Jugend habe ich keine Strenge gehabt, was Figur, Herkunft oder Aussehen hatte. Niemand würde behaupten, ich hätte je das Model gesucht. Habe ich auch nicht, denn das nährte mich im Zusammensein mit diesem Menschen noch nie. Auch dann nicht, wenn so eine Gesellschaftsschöne in unserer Clicke verkehrte und vielleicht mit einem anderen Jungen in Verbindung stand. Nett, aber mich nicht mobilisierend oder elektrisierend. Da war nichts.
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Gestern lief ein Film aus dem Jahr 2000. Es spielte in der Hauptrolle Charlotte Rampling im Film 'Sous le sable - Unter dem Sand'. Und jetzt bitte nicht dem Gedanken verfallen, ich fände Charlotte Rampling "schön". Aber ich fand während des Films einen Teil einer möglichen Anwort. Rampling kann abends nicht schlafen und geht nächtlich nochmals in die Stadt. Dabei überquert sie im fahlen Licht eines Pariser Viertels in ihrem schlammfarbenen Manchestermantel, ihren halblangen Haaren und dem kürbisorangen, fast okkernem Schal, den Stiefeln und einem membran unsicheren Gang eine kleine Strasse, wie wir alle von einer Seite auf die andere wechseln, zwischen geparkten Autos hindurch, und da war sie für mich "schön".

Es dauerte vielleicht 3 Sekunden. Alles war für mich vollkommen. Jeder Pflasterstein, jede zertretene Kippe, jedes tränende Perlen in ihren verhangenen Augen, die stets leicht verbissene Lippe und das Wippen aus dem Schlendrian, mit dem sie nicht wusste, wohin sie wollte, die Hände in die Taschen gesteckt, den Schal kurz richtend, um sich an irgendetwas festzuhalten, so schwebte sie für Sekunden über den nachtnassen Asphalt und für mich ergab sich in dem Moment das Ganze, so dass nichts von allem hätte mehr das sein können, als wofür es in dieser Welt da war. Ein kleiner Wahnsinn von Moment, eine Vollständigkeit, ein Bild. Schönheit.
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Es gibt für mich keine schöne Frau. Es ist für mich ein ein falsches Verstehen, eine falsche Verwendung, den Begriff 'schön' auf eine Frau zu beziehen, wie es täglich millionenfach unreflektiert getan wird. Die Frau bleibt für mich Frau. Jede Frau.

Die Schönheit einer Frau hingegen, die ist für mich 'ein Moment'. Sie ist nicht ein Konkretes. Sie ist abstrakt, wird nicht greifbar und damit weder messbar noch bewertbar. Sie hat kein Abbild oder eine Form. Sie erscheint. Sie reitet mit, in Dingen wie Ausdruck, Moment, Dasein, Vollkommenheit, Arrangement. Sie vermittelt mir im Sehen die anderen vier Sinne und lässt mich kostend spüren, was gehalten im Duft inne wird. Sie ist nicht wirklich zu fotografieren. Schönheit ist für mich kein Anblick - Schönheit ist für mich eine Wahrnehmung aus dem Ganzen. 

Und so kann für mich jede Frau schön sein, dann, wenn nichts von allem mehr das sein vermag, als wofür es in dieser Welt da ist.


Jona Jakob, Zürich

Nachtrag: 

Wenn ich also 'so' wahrnehme und zu emotionalen Regungen gelange, wie es mir nur ein komplexer Augenblick abhängiger Geschehnisse zu verdichten vermag, lebe und liebe ich, wenn alles gut geht, von einer unheimlichen Intensität und in grösster Wonne, egal was angestrebt wird. Jeder Moment kann dann so zauberhaft werden. 

Wenn ich also 'so' wahrnehme und zu emotionalen Regungen gelange, wie es mir nur ein komplexer Augenblick abhängiger Geschehnisse zu verdichten vermag, lebe und liebe ich, wenn es schlecht geht, von einer unheimlichen Intensität eines Fallens in die Leere einer Enttäuschung, egal was angestrebt wird. Jeder Moment kann dann berührungslos und verkannt, verpasst und versaut bleiben, bis meine Seele schreit. 

Und in genau das, das Volle oder das Leere können Sie sich nun einfühlen: 
a) ob Sie selber überhaupt in der Lage sind, so verdichtet wahrzunehmen, bis ein Moment entsteht? und
b) wenn Ja, von welcher Art und Weise Sie begegnen müssen, um einen Magic-Moment mitzubilden. 

Sie brauchen ein Faible und aus diesem heraus noch ein Flair. 

Glauben Sie es mir. Es ist eine Kunst, eine höchste Kunst.