16.11.2014

Dichtestress

Ich werde fast jedes Mal gefragt, wie ich Zürich verlassen konnte und nun in Frankfurt lebe?

Dichtestress.


Auch wenn man sich über dieses neue Wort schweizerischen Presseursprungs noch die Münder zerreist, benennt es mir exakt, was einer der wichtigsten Aspekte ist, weshalb es so kam, dass mir in Frankfurt wohler ist und ich Zürich verliess.

In etwa 150 Meter Luftlinie und auf schier gleicher Höhe, ich wohnte im zweiten Stock in der Nähe von Zürich, verlief ein beliebter Panoramaweg. Es kam so weit, dass ich sonntags Sonnenstore oder Jalousien so weit runter liess, dass ich die Energie all dieser Menschen etwas filtern konnte. 

Beim Flughafen FRA / Bild: (c) bei Jona Jakob, privat.

Darüber hinaus gab es das Gefühl von Dichtestress im Auto, wo ich in der Schweiz das Gefühl hatte, aber an gar keiner Stelle für 20 Sekunden anhalten und etwas klären zu können - stets war schon einer da, der nicht ausweichen konnte und der mich zwang, wegzufahren, meiner notwendigen Dinge unverrichtet und gestresst. 

Und nicht minder das selbe Gefühl, dauernd jemandem im Weg zu stehen, sobald ich zu Fuss unterwegs war. An einer Ecke stehen bleiben, schauend, suchend, wartend, what ever... es ist in Zürich nicht wirklich mehr möglich, ohne jemandem offensiv im Weg zu stehen.

Dichtestress habe ich, wenn ich in ohnehin als zu eng gefühlten Warenregalen von Einkaufszentren nach Gütern suche und sich dann Menschen in die mir knappe Distanz zum Regal schieben, schlurfend, breitmachend, ignorierend, als stünde ich nicht dort und suchte Reibkäse. Empathielos und egozentrisch bis taub stellen die sich vor genau jenen Meter Musik-CDs, den ich aktuell mit meiner Konzentration scanne - aber nein, diese Imbizilen (Botho Strauss) müssen nun genau da stehen, wo meine Blicke streifen.

Dichtestress auf zu engen Traminseln, vor Automaten, an Kassen und im Parkhaus, wo sich vermutlich Autobauer und Architekten seit 30 Jahren nix mehr zu sagen haben. Dichtestress in Bekleidungsgeschäften und Bücherläden.

Und es ist nicht die buchstäbliche Nähe, die gemessen messbar wäre. Es ist die tölpelhafte Ichbezogenheit wahrnehmungsloser Walking-Deads, welche keine Distanz noch Situationsbezogenheit wahrzunehmen vermögen und dir einfach in Bild treten, dich pushen, dich bedrängen, belärmen, beduften und ihre kraklige bis klebrigschmierige Handschrift zurücklassen, ob als unaufgeräumte Tische, Litter, Abfall und Zerstörung. Du spürst, du existierst nicht. Für die bist du nicht da. Es schirmt die Sonnebrille ab, es bezieht das Smartphone alle Konzentration und richtig schlimm wird es, wenn beides zusammenkommt. Das wird mir zu nah, nicht erkannt zu werden.

Dichtestress.

Einer meiner Gründe, solche Orte nur gewählt und bei Lust und Laune anzupeilen und für eine selbstbestimmte Zeit zu geniessen oder zumindest souverän mit der Bedrängnis umzugehen. Zürich ist ein toller Fleck und für viele Menschen ein kleines Paradies. Bestimmt, da wollen alle hin.

Dichtestress ist bei meiner Hochsensibilität einer der schwächensten Einflüsse, den ich massiv beachten muss.

Mein Vater sagte: "Die Zuneigung wächst mit der Distanz."

Beste Grüsse

Jona Jakob
Zürich, Bern, Frankfurt

P.S. Bitte machen Sie mir einen Unterschied, ob jemand Dichtestress hat, weil er wegen geringer Filter nicht ideal von anderen Menschen abzugrenzen vermag und jemandem, der bei vollem Tresor präventiv Panik schiebt, jemand Fremdes könnte ihm was vom Teller nehmen. Danke.