29.03.2011

Wie geht es mir nach einem Jahr mit Gewaltfreier/Wertschätzender Kommunikation? (GFK)

Weil sich eine Beobachtung bei mir verdichtet, habe ich bei einem GFK Menschen eine Rücksprache, eine späte Reflexion erbeten und dann schrieb ich folgendes:

Diese offenen Zeilen sollen zeigen, dass es wirklich zu Konflikten und argen Missverständnissen kommen kann. Und genauso sollen sie zeigen, dass dies weder von der einen oder andern Seite gewünscht oder beabsichtigt ist. Vielleicht mag einzig ein Nachgeschmack für jemanden bleiben, der die Wandlung und das Bekennen zur GFK, der gewaltfreien Kommunikation als eine "Aufoktruierung" empfinden könnte ... das kann ich verstehen und das respektiere ich und gehe die Konsequenz ein, dass man sich daher allenfalls einen Moment nicht so nahe sein kann.


Lieber anderer Mensch

Wir reden oder schreiben oder lesen aneinander vorbei.

Das geschieht nicht in einem bösen Sinn, weder von dir noch von mir.

Es brüskiert uns aber beide, wenn ich, der ich mich auf meiner Seite spüre, ein 'Stopp' einlege.

Ich 'stoppe' gar nicht gerne - stelle es aber vor den möglichen Konflikt.

Heute kam es zu diesem Konflikt.

Was passiert? Was könnte die Ursache dafür bei mir sein?


Du bist mir viel wert und ich bin es mir auch und daher will ich keinen Aufwand scheuen, für mich erkennen zu können, warum wir so ineinander geraten, anstatt wir einfühlsam im Tanz miteinander lägen. Ich habe dich gerne, das steht ausser Frage. Daher will ich nochmals und nochmals einen Weg suchen. Heute suche ich das erste Wegstück bei mir:

Hier sind die mir möglich Gedanken - ich hoffe, sie sind dir lesbar, fühlbar, annehmbar. Sonst lass es uns wieder versuchen. Gerne.

Ich bin fünf Jahre in die Gesprächsberaterausbildung, was mein Hören und Sagen stark prägt. Noch mehr aber glaube ich, verändert mich immer mehr ein Grundkurs in gewaltfreier bzw. wertschätzender Kommunikation, den ich vor einem Jahr belegte. Der sickert in seiner Einfachheit noch heute in mich rein. Er wirkt wie eine Veränderung grundlegenster Programmierungen und er tut vorallem eines ... er fühlt sich sooooo gut an.

Die Erfahrungen aus diesem Grundkurs veränderten drei Dinge:

1 - Bei mir selber:
Ich lerne jeden Tag mehr, was meine Bedürfnisse sind und wann sie von mir selber beachtet oder nicht beachtet werden, weil ich durch die GFK (gew.fr.Komm) diesen Gefühlen > Gefühl, Sprache, Ausdruck und damit Bewusstsein gebe. Ich reife also in diesen Wahrnehmungen des ganz Eigenen täglich und es muss sich in letzter Zeit viel getan haben (was es mit sich bringen "kann", dass ich nicht mehr wirklich "zurück/ins Alte" möchte). In der GFK klärt man in sich selber 4 Schritte:
Schritt 1: Was ist die Situation?
Schritt 2: Was sind meine Gefühle dabei?
Schritt 3: Welche Bedürfnisse erwachsen mir daraus?
Schritt 4: Welches ist daher meine Bitte an  Dich?
Mach ich das unterdessen mit den kleinsten Sachen sehr geläufig, werde ich meine Gefühle täglich besser kennen und immer stärker zu meinem Ich finden.


2 - GFK von andern erfahren:
Ich lernte durch den Grundkurs andere Menschen kennen, die aus einem ihnen inneliegenden Wunsch/Bedürfnis/Liebe meiner Person gegenüber oder allen Menschen gegenüber, erst fragen mögen, ob mir etwas geht (egal was, selbst nur zuhören, einen Moment Zeit haben, noch weiter machen zu mögen). Ihnen ist es eine Haltung geworden, dass es ihn selber unwohl ist und es sich für sie selber nicht stimmig, nicht achtsam anfühlt, wenn sie mich nicht erst fragen, sondern wenn sie voraus'setzen.
Sie fragen mich nicht, weil sie es so von den Eltern gelernt haben, man solle erst fragen (was einer Autoritätsgläubigkeit nahe käme), sondern weil sie gerne achtsam sein mögen, ein schönes Gefühl, sich darum bemüht zu haben, vor dem eigenen Anliegen den andern wahrzunehmen und bei ihm leise und rücksichtsvoll anzuklopfen und zu fragen: Wie geht es dir? Magst du? Geht dir das? Wie wäre es für dich?
Lieber Mensch, das ist eines der schönsten Gefühle, die es gibt, wenn ein Mensch sich dir gegenüber erst bei sich behält und erst nach dir fragt, bevor er sein Anliegen einfügt. DAS ist das NEUE, wenn man GFK annimmt und anfängt in und mit ihr zu leben.
Ich habe also Erfahrung mit Menschen, die nicht mehr anders können, als in dieser achtsamen Form mit mir im Gespräch zu sein. Ich gebe zu, das ist fast wie "angefixt" sein. Und ja, ich selber gehe darin auf wie ein Käsesoufflée, weil ich die Empathie spüre, die freie Luft zu atmen, weil ich darin erkenne, dass mich jemand ins Auge fasst, der mich sieht und nicht sich. So jemand ist auch selten einfach begeistert. Ich halte nicht mehr viel von 'begeister mir gegenüber zu sein' ... ich meine, viel Begeisterung macht irgendwie blind und verliert mich aus den Augen. Ja, lieber Mensch, ja, dem ist so - das ist es, was ich hier zeige. Es kann dir gefallen, es kann dir auch nicht zusagen. Beides ist ok, lieber Mensch.


3 - Möglich, was passieren kann, wenn wer GFK gar nicht kennt und nicht berücksichtigken kann?
 Ich habe vorhin hierfür ein Gespräch geführt, welches mir zumindest anzeig, nicht verfehlt zu liegen, ohne zu pauschalisieren: Ich merke, dass ich von einer grösseren Anzahl von Menschen deren Kommunikation nicht so gut ertrage, weil in ihrer Kommunikation dieser achtsame Anteil für mich nicht erkennbar vorhanden ist. Sie kennen ihn nicht oder vergessen es oder können noch nicht verstehen, um was es sich dabei handelt etc. Es gibt unzählige und warhlich unschuldige Gründe, warum dieser Anteil fehlen kann, so dass ich ihn vermisse. Wir (Komm'trainer) werten  solch Geschehen nicht, obwohl es ein beidseitig schmerzliches Empfinden ist. Ich hab vielleicht gedacht: Warum fragt du mich nicht? - das schmerzt .... du hast vielleicht gedacht: Was macht der aus Nix einen Elefanten? das ist so ein komplizierter Kerl. Jja, das - so scheint es mir - kommt mir mehr und mehr vor, weil unterdessen vielleicht 10% GFK kennen lernten und viel andere sie noch nicht wahrhaben (das ist kein Urteil, das ist nur ein Versuch, etwas zu zeigen, was möglich sein könnte). Last but not least legte mir der Gesprächspartner nahe, in mir bei meinen Bedürfnissen zu verbleiben, eine Form der 'Selbst'Achtsamkeit'. Und einen Weg zu suchen, mein Anliegen zu zeigen.
So kompliziert ich bin und sein mag - nach meinen Gefühlen und Bedürfnisse habe ich einzig meine Bitte:

Kannst du verstehen, dass ich deinen Wunsch, deine liebesquellsprudelnde Achtsamkeit spüren möchte, dass es dir ein Anliegen und eine Selbstverständlichkeit ist, dass du erst nach mir fragst?

Und magst du versuchen, mich mehr zu fragen?

Wie geht es dir damit?

Was ist deine Bitte?

Ich bin da.  Und du auch, lieber Mensch.

Jona Jakob